«Keine Ideen ausser in den Dingen»


Sag es, keine Ideen ausser in den Dingen –
nichts als die ausdruckslosen Gesichter der Häuser
und zylindrischer Bäume
gebeugt, gegabelt durch Vorurteil und Zufall –
gespalten, gefurcht, gekrümmt, gefleckt, verdreckt –
geheim – in den Körper des Lichts hinein!

Will man dem amerikanischen Dichter William Carlos Williams (1883–1963) glauben, gibt es «keine Ideen ausser in den Dingen.» Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, ob die Dinge als Resultat eines natürlichen Prozesses, einer kulturellen Handlung oder durch Zufall entstanden sind. Sie sind einfach. Wir können sie mit unseren Sinnen wahrnehmen und – wenn wir wollen – darüber spekulieren, was für eine Idee ihnen zu Grunde liegt. Auch die gebaute Architektur gehört zu Williams’ Reich der Dinge. Sie hat eine Form, sie hat reale Dimensionen und sie besteht aus Materialien, die nach bestimmten Regeln zusammengefügt sind. Sie steht an einem bestimmten Ort und dient – in den meisten Fällen – einem bestimmten Zweck. Architektur ist aber auch das physische Zeugnis der Idee, auf die sie sich bezieht.

Say it, no ideas but in things –
nothing but the blank faces of the houses
and cylindrical trees
bent, forked by preconception and accident –
split, furrowed, creased, mottled, stained –
secret – into the body of the light!


Eine kleine Betonmauer

Stellvertretend und sinnbildlich für die Behauptung, dass Ideen ihren Ausdruck nur in den Dingen fänden, steht eine kleine Betonmauer. Reto Gadola liess sie bauen, um zwei Gärten voneinander zu trennen. So haben die Nachbarn ihre Ruhe voneinander. Dem einen dient sie zudem als Abstellraum für Gartengeräte. Auf der anderen Seite wurden die Maurer angewiesen, die Betonschalung mit zerknittertem Bauplastik abzudichten. In den so entstandenen Falten des Betons setzen sich Flechten, Mikroorganismen und Verschmutzungen aus der Luft fest. Im Lauf der Zeit werden ihre Spuren sichtbar. Jeweils nachmittags wirft der daneben stehende japanische Ahorn seinen Schatten auf die Betonmauer wenn die Sonne scheint.


Die Gedichtszeilen stammen aus William Carlos Willams, Paterson, überarb. Gesamtausgabe, New York 1992, S. 6f. (Erstausgabe: Paterson. Book One. Norfolk, Conn. 1946). Deutsche Übersetzung von Karin Graf und dem Lyriker Joachim Sartorius, in: Carlos William Williams, Paterson, München 1998, S. 12f.